Schwarze Tränen

Schwarze Tränen

 

„Der tote Regen,
weint vom dunklen Wolkendeckel,
weint letzte Tränen,
auf Schutzanzüge von Verdammten.
Es ist der Tag an dem der Regen starb,
als die ersten Bomben fielen,
vom roten Firmament,
im nuklearen Endzeitkrieg.

In einem kalten Bunker,
zwei Seelen nehmen ihre Helme ab,
geben sich den Wiedersehenskuss.
Liebevoll als gäb es nichts,
nur sie und keine tote Welt.

Und der Regen nun wird viele Bomben.
Spitzgeformter Meteorenhagel
prasselt durchs Planetendach,
und die weißen Blitze färben alles weg.

Im letzten ewgen Kusse,
schwinden die zwei Seelen.
Gehn auch sie in diese geisterhafte Zukunft,
die niemand kennt,
den Tod, er ist der altbekannte Fremde.
Im Kontrast zum blutgefärbten Firmament
reicht das Rot der Seelenherzen weit
hinaus bis übers ewge Ende.“

 

Der Zirkustiger, der nie einer war

Dieser Text ist als Erstveröffentlichung in dieser Anthologie erschienen:

Gewaltige Metamorphosen

Friederike K. Moorin, Christian Knieps (Hg.): Gewaltige Metamorphose. Wir brauchen konstruktive Erzählungen

Marta Press, Hamburg, Oktober 2015
ISBN: 978-3-944442-33-4
Taschenbuch, 248 Seiten
Preis:
€ (D): 19,90
€ (A): 20,90
CHF UVP (CH): 27,90

 

Der Zirkustiger, der nie einer war

 

Ich liege auf dem Boden. Auf einer großen zusammengeknüllten Baumwolldecke. Vor mir ein Stück rohes Fleisch. Sie nennen mich Baltasar. Bin die Hauptattraktion hier, übrigens. Baltasar der „furchteinflößende“ Zirkustiger. Der Käfig ist etwas größer als ich selbst, die Stäbe fünf Zentimeter dick. Ich kann aber im Kreis gehen. Wie gnädig von meinen Besitzern.

Mittlerweile hat mein Fell an Glanz verloren, es ist, um ehrlich zu sein, recht strohig geworden und so muskulös wie in den alten Tagen bin ich auch nicht mehr, eher ein wenig dürr. Bin halt schon etwas länger hier.

Früher, als sie mich noch „zähmten“, so nennt man es hier ja – in Wirklichkeit brachen sie meinen Willen durch Erniedrigungen und Schläge – war es natürlich am schlimmsten. Heutzutage bin ich klug genug die albernen Kunststücke, die von mir verlangt werden, einfach zu tun. Es war ein Reifeprozess. Eine Abtrennung meines Inneren von den äußeren Umständen. Eine Trennung, die ich allmählich herbeiführte. Außen bin ich der „ungeheuerliche“ Baltasar mit diesen lächerlichen Zirkusauftritten in der Manege. Und jedes Mal wenn der „mutige“ Dompteur seinen Schädel in meinen weit aufgerissenen Rachen hält, bräuchte ich nur den Kiefer zuklappen lassen. Aber ich weiß was ich zu erwarten hätte. Innen, in meinem Herzen, bin ich Tiger, das natürliche Tier als das ich in Wirklichkeit geboren wurde. Da ich so meine Würde durch die Jahre innerlich wiederfand, meinen Willen, ist es erträglicher geworden. Und doch warte ich zu einer Hälfte einfach nur auf meine Erlösung, auf meinen Tod.

Heute ist der „große Tag“. Abendvorstellung in der Hauptstadt. Hunderte Besucher erwarten meine Besitzer zu diesem, wie es auf den Plakaten heißt, „sensationellen Spaß für alle“. Für alle außer für meine Mitinsassen und mich. Für uns, die Elefanten, Affen, Zebras und den ganzen Rest unserer kleinen Wohngemeinschaft.

Was normalerweise meine Beute wäre, erhält hier, im Käfigstall, nur mein mattes Mitgefühl.

Wenn wir uns in die müden Augen blicken gibt es keine natürliche Nahrungskette, keine Hierarchie. Nur Leidensgenossen, die man seit langer Zeit kennt. Trübe Abgeklärtheit.

Ich höre Schritte. Ein Zebra senkt den Blick gen Boden. Die Affen werden nervös. Immer das selbe Spiel. Es scheint gleich loszugehen.

Ein paar Zirkusangestellte holen die ersten Tiere aus ihren Käfigen, damit sie ihre Show absolvieren. In ungefähr zwei Stunden bin ich an der Reihe. Der Höhepunkt des Abends, wie die Plakatwerbung verspricht.

Es riecht jetzt nach Urin und Angst aus den umliegenden Käfigen. Man hört die Festmusik, klatschen, raunen, lachen und die harschen Befehle der Dompteure.

Ich wandere in meinem Käfig auf und ab. Jedes Mal vor meiner Nummer. Es ist der Stress, die unangenehmen, teils schmerzvollen Aufgaben. Die Bloßstellungen wider unserer Natur. Die Furcht vor diesen Dingen wird man selbst nach Jahren nicht los.

Mein Pfleger kommt und holt mich. Er versucht mich mit seinen Blicken einzuschüchtern. Ich mime Unterwürfigkeit.

Er führt mich zum Eingang der Manege und gibt mir das Signal hineinzugehen. Als ich in das Rampenlicht trete, in dem der Dompteur auf mich wartet, beginnt das Publikum zu jubeln. Manche stehen auf und applaudieren.

Der Dompteur gibt mir mit einer Bewegung seiner Peitsche den Befehl mich auf ein kleines Podest zu stellen und zu fauchen. Ich gehorche. Ich soll mich auf die Hinterbeine stellen. Durch einen Ring springen. Und noch viele weitere Kinkerlitzchen.

Dann muss ich einmal im Halbkreis an der Absperrung zum Publikum entlang laufen. Das Programm variiert so gut wie nie. Doch plötzlich sehe ich, dass eines der Gatter einen Spalt offen steht, der klein genug war, um in dem ganzen Trubel nicht bemerkt zu werden. Wie ein feuriger Blitz schießt es durch mein Herz. Eine unaussprechliche Sehnsucht erfasst mich. Ich lasse mir meine Entdeckung nicht anmerken und höre auf das Signal zurück zum Podest zu gehen.

Der Höhepunkt der Show beginnt jetzt. Ich muss mein Maul weit aufsperren, so dass der Dompteur seinen Kopf zwischen meine Zähne halten kann. Um die Spannung zu erhöhen signalisiert er dem Publikum nun ganz still zu sein und man hört nur noch leises Tuscheln. Ich öffne mein Maul nach einem kleinen Wink des Dompteurs mit seiner Hand und er beugt sich vorne über, den Kopf zur Seite, Richtung Publikum gedreht, um ihn dann langsam in mein geöffnetes Maul zu stecken.

Doch plötzlich, sein Haupt zwischen meinen Zähnen, sieht er das offene Gatter.

Ich merke, als würde alles außerhalb der Zeit geschehen, dass er kurz zögert, und danach seinen Kopf herausziehen will um Alarm zu schlagen. Wie in Trance lasse ich meine Zähne ein Stück zusammenfallen. Immer noch ohne den Dompteur zu berühren. Er erschrickt und versteht was ich drohe, und lässt so seinen Kopf wo er ist. Ich spüre seine verzweifelte Angst. Er denkt, wenn er jetzt den anderen zu verstehen gibt was los ist oder versucht seinen Kopf herauszuziehen, lasse ich meine Kiefer zuschnellen. Er weiß, dass er geschlagen ist. Und er weiß, dass sich etwas in mir verändert hat. Dass seine überhebliche Sicherheit von jetzt an nicht mehr gewährt ist.

Langsam bewege ich mich rückwärts und gebe seinen Kopf frei, steige von dem Podest und gehe in Richtung der rot bemalten Absperrung, die rund um die Manege aufgebaut ist. Die Zeit ist jetzt auf meiner Seite, denn bevor den Leuten und dem Zirkuspersonal bewusst wird was hier passiert, und die anschließenden Schocksekunden überwunden sind, bin ich schon nahe dem Gatter. Nun bricht Panik aus. Leute versuchen zu den Ausgängen zu gelangen. Manche rennen, manche stehen einfach wie betäubt da. Mein Weg ist wie leergeräumt, schließlich strömen alle von mir weg. Schreien, kreischen. Ich tue euch nichts, keine Angst. Ich werde nur wieder Herr über mein Leben. Nicht über eures. Die Zirkusleute brüllen sich aufgeregt Anweisungen zu. Man solle die Gewehre holen, mich endlich abknallen. Dann verlasse ich durch das offene Gatter und den dahinter liegenden Ausgang das Zirkuszelt. Ich beginne zu rennen, bald zu sprinten. Polizeisirenen ertönen in der Ferne.

An einem Fluss auf einer kleinen Wiese angekommen, geschützt von zwei Bäumen, lege ich mich hin. Ich schließe meine Augen.

Sehe meine Eltern in der strahlenden Sonne der Savanne und meine Brüder und Schwestern wie sie auf dem staubigen Boden herumtollen. Sehe wie es früher einmal war. Mein Herz schlägt endlich wieder. Ich habe mein Leben zurückerobert. Bin wieder Tiger. Ich höre mittlerweile wie die Verfolger nach mir rufen. Die Zirkusleute, Polizisten, Feuerwehrleute. Wie sie Baltasar schreien und immer näher kommen. Erste Schüsse fallen. Zwei schlagen neben mir in den Boden. Weitere surren an mir vorbei durch die Luft. Ich halte meine Augen geschlossen, bleibe in der Heimat, in der Savanne. Ich bin nicht mehr Baltasar. Ich war es nie.

 

Auf dem Weg

Auf dem Weg

 

Als ich noch ich war
und ab und an die Seele sang
dort war mein Zuhaus
Jetzt bin ich noch
der Kern, er blieb, und so auch Glück
doch mit all dem Gehn
ging auch ein großes Stück von mir

Und als hätten wir nicht alle längst genug
so prügeln wir noch weiter auf uns selber ein
mensch gegen mensch
als könnte es nicht anders sein

Ich hab noch nie ein Tier gesehn
was fürs Vergnügen frisst
aus Unsinn andern schadet

dort sind wir allein
in dieser Schmach

in der dummen Unsinnsschlacht

und prügeln weiter auf uns selber ein
als könnten wir nicht Menschen sein

 

Land der gefrorenen Sonne

Land der gefrorenen Sonne

 

Schneeweiß, das helle Licht

Eis und Frost, weite Spiegelflächen

Nah bei den Kältefelsen die Glastürme

Reißender Wind, undurchsichtig wie Nebel

Leere Weiten ohne Leben

 

Zwei Seelen, kraftvoll wie Naturgewalten

Durchschreiten diesen Ort wo Herzen sonst erkalten

unberührt, als würd das Feuer dieser Beiden

Pfade durch die kalten Wüsten schneiden

 

Die Herzen rot wie Glut und ohne Furcht,

um diese Öde auszuhalten, nimmer mehr zu leiden

 

Der Hund des alten Herrn Brahmer

Der Hund des alten Herrn Brahmer

 

„Tiere können so was nicht, sagten sie.

Aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen.

Den Schäferhund vom alten Herrn Brahmer.

Wie der Hund gelitten hat, erst, und dann wurde mir klar wie wenig uns von Tieren trennt.

Blassgraues struppiges Fell hatte der Hofhüter im Verlauf der letzten Jahren bekommen, und war auch nicht mehr so gut auf den Beinen wie in den besseren Tagen, schließlich war er über 14 Jahre alt. Aber unerzogen und ein Kläffer immer noch, wie sein Herrchen, hatte man im Dorf immer gescherzt.

Doch als der alte Brahmer starb, er war früher Bauer und später hatte er einen kleinen Gebrauchtwarenladen, lebte immer allein, blieb sein Hund Arko tagelang an seinem Grab.

Ab und zu brachte Jemand dem Hund ein wenig übrig gebliebenes Fleisch aus der Dorfmetzgerei. Abgemagert und verwahrlost lag er dort, mit tiefen Augen, traurig wie weite unbefahrene See.

Nach einiger Zeit, in einer sternenlosen Nacht, ich machte noch einen Spaziergang, weil ich nicht einschlief, sah ich Arko an den Klippen.

Er muss den ganzen langen Weg hierher gefunden haben, wer weiß wie lange er gelaufen war. Ganz nah am Rand sah ich ihn, als würde der Hund vor etwas zögern, seinen Kopf in Richtung Meer. Doch bald tastete Arko ein paar Schritte vor, fast wäre er ins Rutschen gekommen, aber fing sich noch. Zitternd stand der Arme dort, den müden Blick in die Tiefe gesenkt. Dann auf einmal nahm das Tier seinen Mut und setzte vorsichtig ein Bein vor das nächste bis ihm die Vorderpfoten wegrutschten und es in den grauen Ozean stürzte.

Nicht nur Menschen fühlen so etwas  – das sage ich ihnen – Verlust und Trauer.“

 

Tiefrot innerhalb Gelb

Tiefrot innerhalb Gelb

 

Der gelblich goldne Magenfüller

macht heute nur noch satt.

Geist der Euphorie, uns wohler Rausch,

wich sanfter Dämmerung.

Einzeln frisst sich durch die Haut,

man merkt es kaum, so still.

Die Knochen sind schon lang erreicht.

Kerne, wie unbesiegbar,

nur mit ihnen ist er beständig

innerhalb des Wandels,

der Geisterrausch, der düstre Himmelshauch.

Doch auch alle Kerne

bestehen aus nichts und Phantasie.

Traumgewebe.

Prozesse der

Reifung,

Unabhängigkeit,

Freiheit.

Echtes erstarkt.

 

Und alles grau, zweierlei gelb,

und oft doch dunkelrot.

 

Raser ritzen Venen in die Stadt,

im Takt zu verlorenem Treibgetrommel,

den Blick korrekt und stur nach vorn,

damit’s bloß keiner sieht,

das Schiff bar Steuermann.

„Wir leben! Wir leben!“,

ruft man trotzdem dort,

und lebt wie Wetten,

nur um nicht unter die Hülle zu geraten.

Wir alle lachen aus den Zähnen.

Dem Käfiglaufrad glüht die Achse weg,

doch es reicht noch immer nicht;

das Loch im Herzen

kriegen wir nie vollgekauft.

Und alles war und ist

dies‘ nichts und Phantasie,

in grau, zweierlei gelb,

und auch hier das Dunkelrot.

 

So darin trotzdem,

wie der eine oder andere,

als einer unter anderen:

„Frohes Geheul

sollte ich hinauf ins Mondlicht bersten,

in Dankbarkeit,

da ich trotz allem dennoch merke

wie still

und gut das Leben in seiner Liebe ist.

Wie unfassbar herrlich.“

Grau, gelb,

darin/innen dieses tiefe Dunkelrot.

 

Londons Lost

Londons Lost

 

„London,

in rotem abendkaltem Sonnenschein

die Klarheit, schaut lebendige Monotonie

– Bewegungen in Metropolen

Und man sieht noch ein einzig Mal zurück

– und endgültig nach vorn

 

Ich muss erläutern, lieber Leser

Ich bin dort nur kurz zu Besuch,

eine der immer letzten Reisen

 

Und ich weiß, lieber Leser

hier und da, sind die Bekannten

die Künstlerseelen aller Jahrhunderte

 

Siehst Du denn nicht, diesen Mann in der U-Bahn

oder hier am Ufer diese Frau

Und in den Häusern

Musen, Maler, Musik und Text

Unsichtbar,

wie immer,

wie an allen Orten.“

 

Blüten des Sturms

Blüten des Sturms

 

Die Dächer der unteren Stadt

die Ebenen

Wie eine Pyramide aus Dynamit

Direkt über den Dächern der unteren Ebene

erheben sich die Flanierböden der oberen Wohnzellen

turmhohe Terrorbetonhaufen

die sich spitz tief in den roten Himmel schreien

sie kriechen,

die Insassen der ergrauten Mäntel

um sich vor dem kalten Sturm zu schützen

um auf krank gelben Terrassen von den unteren zu saugen

alles nach oben, bis die Pyramide kippt

und das Dynamit alles in sich reißt

Und hier stärkt der kalte weiße Sturm die Wildblumen

die, wenn sie durch den Sturm weit genug wachsen

letztlich ihre Blüten in das Innere der Sonne halten

 

Geistergeschichten

Geistergeschichten

 

Neben mir, am anderen Tisch, mit Wasser

wir sehen beide Richtung Straße, sie trinkt

ich nehme einen Schluck, setze das Glas ab

Die Sonne spiegelt sich hier und da in den Fenstern, im Chrom, Glas

sie hat glatte Haare exakt gen Boden, rahmend

wie ein schwarzweißes Photo von schönem Früher

die hohen Häuser vor uns, hinter uns

man hat sich des Wunderns entwöhnt, es stößt an

wir sind uns nie zuvor begegnet

an den Tischen zwischen uns wird sich unterhalten

ich sehe sie zu lange an

sie schmunzelt darüber

sie reden über Fenster, Chrom, Glas, Wasser ohne Eis, Strohhalme

Autos ritzen im Takt Venen in die Stadt

ich stehe auf, gehe zu ihr und sage

weißt du wer Du bist

sie lächelt, nimmt die Sonnenbrille

lass uns weitergehen, sagt sie

Ihre exakten Beine bis zum Boden, unfassbar schöne Beine

ein Stück hören wir noch Geschirr, das auf Tische gestellt wird